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Aus dem Leben des

Dortmunder Zweiges

102 Jahre Zweigarbeit in Dortmund

Ausleih-Stempel der Bibliothek des Zweiges aus dem Jahre 1922 belegt den Beginn der anthroposophischen Arbeit des damals noch namenloses Zweiges. Alles war auf die Umsetzung der geistigen Impulse in das praktische tägliche Leben im Ruhrgebiet konzentriert. Die Namensgebung erfolgte erst im Jahre 1992.

Ein weiterer Nachweis ist das Telegramm aus Dornach vom 30. März 1925 an den damaligen Zweigleiter des Dortmunder Zweiges, Herrn Lippacher, über den Tod von Rudolf Steiner.

Im Jahre 1928 wird der Anthroposophischen Gesellschaft ein Treffen des Vertreters einer Jugendgruppe, Albert Lichtenberg, mit der Vertreterin des Zweiges, Fräulein Plum, mitgeteilt.
Der Hintergrund ist, dass sich nach dem 1. Weltkrieg in Dortmund junge Menschen aus verschiedenen Jugendbewegungen und unter-schiedlichem Herkommen zur anthroposophischen Arbeit zusammen-gefunden hatten, aber auf Grund sozialer und Generationsunter-schiede sich nur schwer Kontakte zum bestehenden Zweig knüpfen ließen.

Johanna Kux, die Mutter des späteren Zweigleiters Willi Kux, zeigte sich den Bestrebungen der Jugend aufgeschlossen und erwarb sich große Verdienste im Zusammenführen und Integrieren der Gruppierungen.

In den folgenden Jahren entwickelte sich eine rege anthroposophische Arbeit in Dortmund, besonders seit Sigismund von Gleich, hier wohnend, mitwirken konnte.

Heimliche Zusammenkünfte

Die NS-Zeit und das Verbot der Anthroposophischen Gesellschaft 1935 erschwerte die anthroposophische Arbeit und fand heimlich in verschiedenen Privatwohnungen statt. Schließlich mußten diese internen Zusammenkünfte während der Kriegsjahre aufhören. Erst am 1. April 1946 trafen sich wieder die in der zerbombten und entvölkerten Stadt noch verbliebenen und erreichbaren Mitglieder des Dortmunder Zweiges.

19 Persönlichkeiten trafen sich in der Wohnung von Herrn Brömmel in der Möllerstrasse. In der ersten Zusammenkunft wurde Willi Kux zum Zweigleiter, Albert Lichtenberg als sein Stellvertreter und Margarethe Hohenstein zur Kassenwartin gewählt. Damit war das Signal für eine reguläre Wiederaufnahme der Arbeit gesetzt.

Die Wahl dieser Persönlichkeiten lässt ahnen, dass noch immer ein Bewusstsein der ehemals ver-schiedenen Arbeitsgruppen vorhanden war.

Anfang der 50er

kamen neue und junge Menschen in die sich wiederbelebende Stadt und wuchsen in die verantwortliche Zweigarbeit hinein. Zu diesen Menschen gehörten z. B. Dr. Klaus Dumke und das Ehepaar Isolde und Dr. Markus Kühn.

Um neue Mitglieder zur aktiven Zweigarbeit zu ermutigen (und vielleicht einen künftigen Generationenkonflikt zu vermeiden), hatte man die Gepflogenheit entwickelt, dass ein junges Zweigmitglied sich einen Mentor unter den älteren wählte und beide gemeinsam einen Zweigabend leiteten.

Schon in dieser Zeit rief Willi Kux einen Initiativkreis ins Leben, da ihm sehr daran lag, die Verantwortlichkeit für das Zweigleben auf eine breitere Basis zu stellen, wenn er auch, den damaligen Gepflogen-heiten entsprechend, nach außen hin als Zweigleiter fungierte.

In den ersten 15 Jahren nach der Neubegründung

In den ersten 15 Jahren nach der Neubegründung wechselten die Tagungsräume des Dortmunder Zweiges häufig: Erst traf man sich in geeigneten Privaträumen, z.B. im Atelier der bekannten Fotografin Anneliese Kretschmer, wo auch Eurythmiestunden stattfanden; 1948/49 in der Industrie- und Handelskammer, später in der Kantine des Hauses der Ruhrkohle und des Auslandsinstitutes in der Arndtstraße.
. Es lässt den Hunger auf Geistiges in jenen Jahren erahnen und ein Bedürfnis erkennen, nach geistigen Antworten auf Zeitprobleme zu suchen, wenn man erfährt, dass es damals möglich war, in der Öffentlichkeit den „Ost-West-Kongress 1922

(Wiener Vorträge) zu lesen. Ab Januar 1953 trafen sich die Zweigmitglieder mittwochs abends in einem Klassenraum der Ingenieurschule Sonnenstraße; später dann im VEW- Büro des Direktors Willi Müller in der Kleppingstraße, schließlich in Etagenräumen des Wohngebäudes Wiss-/Ecke Prinzenstraße, bis endlich der Saal einer Gaststätte am ,,Alter Mühlenweg“ für einige Jahre die Heimat der Zweigabende wurde. Da der Dortmunder Zweig diesen Saal langjährig gemietet hatte, besaß er nun erstmalig einen Raum, der ganz nach den Vorstellungen der Zweigmitglieder gestaltet werden konnte, z.B. was Raumaufteilung, Wandfarbe oder Vorhänge betraf. Nachteilig war, dass man aus benachbarten Räumen den Kegellärm hören konnte. Deshalb leistete die Eurythmistin Annemarie Britting vor jeder Zweigveranstaltung mit anderen Mitgliedern eine intensive eurythmische Einstimmung, damit anschließend eine gedeihliche Atmosphäre die geistige Arbeit möglich machte.

Ab 1961

fand die anthroposophische Arbeit in der Öffentlichkeit große Beachtung. Davon zeugen Ausstellungen und Tagungen in exponierten öffentlichen Gebäuden, sowie die stark anwachsende Mitgliederzahl des Zweiges und die Zunahme der Gründungsaktivitäten auf vielen Gebieten.

Mit der Begründung des Pädagogisch Sozialen Zentrums Dortmund e.V. (PSZD) wuchs der Zweig in den 70er Jahren erheblich, da nun Schuleltern und die lebensälteren Bewohner des Hermann-Keiner-Hauses dazu kamen. Unter diesen waren etliche ehemalige Zweigleiter, die neben den Zweigabenden eigene Gruppenarbeit leisteten. Ein Höhepunkt dieser Phase des Auflebens der anthropo-sophischen Arbeit war 1975 die Generalversammlung der deutschen LandesgeseIlschaft in der Westfalenhalle mit über 1000 Teilnehmer:-Innen, die damals bislang größte anthroposophische Veranstaltung. Etwa 15 anthroposophische Künstler stellten ihre Werke aus.

Nach dem Tode von Willi Kux 1976

wurde klar, dass nun wirklich ein Gremium als Initiativkreis die Belange des Zweiges gemeinsam regeln sollte, eine Arbeitsform, die durch unsere stets komplexer werdenden Welt erforderlich wurde. So hinterließen die sich ändernden gesellschaftlichen Bedingungen auch im Dortmunder Zweig ihre Spuren. Ab 1979 konnte der Zweig durch die Bautätigkeiten des PSZD den Versammlungsraum des Waldorfkinder-Gartens nutzen. Wenig später wurde in der Rudolf-Steiner-Schule der Handlungsraum für den Freien Religionsunterricht die Heimat des Zweiges für fast zwölf Jahre.

Mit Umzug in Räume des PSZD wurde der erste öffentliche Lesekreis als Einführungskreis gegründet. Diese Gruppe hat im Kern noch bis heute Bestand und fast 20 Jahre zeichnete Lydia Oppolzer für sie verantwortlich.Viele weitere Gruppenleiter sind im Laufe der Zeit aus diesem ersten Einführungskreis hervorgegangen. Bis zu seiner Begründung gab es die Möglichkeit, dass sich Interessierte in Patienten-Arbeitskreisen um die jeweiligen Ärzte Dr. Brunk, Dr. Dumke, Dr. Keiner, Dr. Keser, Dr. Küstermann, und in Schwerte Dr. Fisseler scharten.


In der Zeit der „Wanderschaft“ hatte sich bei den Mitgliedern der Wunsch gebildet, einmal eigene Räume zu beziehen. Schon in den 60er Jahren war deshalb um eine monatliche Bauspende gebeten worden. Doch immer schob der Zweig die Realisierung auf, weil andere Vorhaben für dringlicher erachtet wurden und der Zweig hier mit Geld half: der Schulbau, das Seniorenheim. Verschiedene gemeinsame Bauimpulse mit Beteiligten des PSZD wurden überlegt und zerschlugen sich wieder. Einig war man sich im Zweig allerdings darin, dass man kein isoliertes „Tempelchen“ bauen wollte, sondern ein Gebäude in sichtbarer Verbindung mit anderen anthroposophischen Initiativen.

 

Schließlich konnte doch nach dem jahrelangen Ringen Ende der 80er Jahre das Bauvorhaben zusammen mit dem benachbarten Erzieher-seminar in Angriff genommen werden, eine große Anstrengung, zu der nun auch mahnende Stimmen von Zauderern nicht fehlten. Jetzt, als der Baugedanke greifbar wurde, prallten die Ansichten der Befürworter und Gegner aufeinander. Unvergesslich sind mir noch die Ausführungen von Eleonore Stamm, als sie darlegte, dass es ein berechtigtes Anliegen sei, der Pflege des geistigen Wortes eine angemessene Hülle zu schaffen.

Zur Realisierung des Baugedankens wurde 1985 der Bauverein der Anthroposophischen Gesellschaft Dortmund e.V. gegründet und es fanden sich auch hier in einem Initiativkreis aktive Verantwortliche zusammen. Aus diesem Kreis sind besonders Hermann Oppolzer und Fritz Neuhoff, damals beide ebenfalls Mitglieder des Initiativkreises des Zweiges, für ihren unermüdlichen und aufopferungsvollen Einsatz zu würdigen. Nun und in den folgenden Jahren verstärkten viele Mitglieder ihre finanziellen Anstrengungen, um den Bau des Zweighauses zu ermöglichen.

Nach Fertigstellung des Gebäudes wurde die Frage nach der Auflösung des BV e.V. erörtert. Die Entscheidung zur Beibehaltung  des gemeinnützigen Vereins „BAUVEREIN  Anthroposophische Gesellschaft Dortmund e.V.“ war und ist auf jeden Fall die Richtige.

Die Pflege und Instandhaltung des Hauses sind die Hauptaufgaben des Vereins.

Die Nutzung der Räume wird auch anderen Einrichtungen auf dem Gelände des PSZD ermöglicht, so gibt es einen Mietvertrag mit dem Rudolf Steiner Berufskolleg Dortmund e.V. Der Saal wird damit  auch tagsüber für die Ausbildung der Studenten des Kollegs  gut genutzt.  

Ein Haus für das Wort​

Das erste Goetheanum war ein Haus des Wortes. Bedingt durch Architektur, Gestaltung, Farben entstand das ganz aus Holz gebaute einmalige Gebäude. Hier bekam das Wort seine geisttragende, lebendige Kraft, die lebensschaffend im Menschen wirksam werden konnte.

 
Diese Gedanken nahmen Einfluss auf den Bau und die Ausgestaltung des Thomas-Hauses.
 
Endlich konnte am 18. Januar 1992 in Anwesenheit des 1. Vorsitzenden der Allgemeinen Anthroposophischen Gesellschaft aus Dornach, Manfred Schmidt-Brabant, der Zweigbau festlich eingeweiht werden. Jetzt fand auch die Namensgebung „Thomas-Zweig“ statt.

Namensgebung Thomas-Haus

Am 18. Januar 1992 erhielt das neu erbaute Thomas-Haus seinen Namen. Dr. Johannes W. Schneider hielt dazu einen tiefgreifenden Vortrag, der nachgelesen werden kann.

Seit dem ist es die Hülle für die wöchentliche Zweigarbeit, für Vorträge, Konzerte und andere Veranstaltungen. Warum gerade der Name des Apostels Thomas? Warum gerade der Name des „Zweiflers“ unter den Aposteln? Der Apostel Thomas steht für das ganz eigene Erleben der Auferstehung Christi. Über das Ertasten und Berühren der Wundmale. Das Verarbeiten dieses Erlebnisses bis zur Bewusstwerdung und der Reifung zum Verständnis der Auferstehung entsteht. Christus läßt diesen Prozess zu. 

In diesem Prozess lebt unsere 5. nachatlantische Kulturperiode. In dem Ringen um Geist-Erkenntnis steht unsere heutige Zeit und das ist ein wesentliches Merkmal des Ruhrgebietes.

Der Jünger Thomas und der Auferstandene

Ansprache bei der Namensgebung des Thomas Hauses Dortmund am 18.01.1992 von Dr. Johannes W. Schneider.

Wenn ein Zweig sich einen Namen gibt, so ist damit gewiss nicht eine Ehrung des Namenspatrons gemeint, der eine solche wohl kaum nötig hätte, und gewiss auch nicht das Bekenntnis zu einem Menschen. Sondern mit der Namengebung möchte verdeutlicht werden, dass das Leben oder Werk des Namenspatrons als ein wichtiger Schritt in der Menschheitsentwicklung gesehen wird, der im Leben dieses Zweiges vergegenwärtigt werden soll. Daher ist es sinnvoll, wenn die Vielfalt der Schritte in der Menschheitsentwicklung auch in der Vielfalt der Namengebung von Zweigen sichtbar wird. Das Dortmunder Haus soll heute nach dem Jünger Thomas, dem „Zweifler“, benannt werden. Während Matthäus, Markus und Lukas den Thomas nur bei der Aufzählung der Jünger-Namen erwähnen, schildert Johannes ihn in recht markanter Weise. Als Christus den Jüngern sagt, er werde nach Judäa zum Grab des Lazarus gehen, wo ihm ja Gefangennahme und Tod drohen, ist es Thomas, der die anderen Jünger auffordert: „Ja lasst uns gehen, um mit ihm zu sterben“ Joh. 11/16). Für Christus einzustehen, ist dem Thomas also die Grundlage seiner Christus-Erkenntnis.

Während der Abschiedsworte am Gründonnerstag sagt Christus zu den Jüngern: „Ihr kennt den Weg dorthin, wohin ich jetzt gehe“ Joh. 14/4). Darauf äußert Thomas, die Jünger wüssten nicht, wohin er geht, wie sollten sie dann den Weg kennen? Christus antwortet: „Ich bin der Weg und die Wahrheit und das Leben. Keiner findet den Weg zum Vater außer durch mich“. Diese fundamentale Aussage des Christus über sich selbst verdanken wir also der Tatsache, dass Thomas einen Satz Christi nicht nur hörend hingenommen hat, sondern, dass er an seinem Nicht-Verstehen anstieß, dass er wach wurde dafür, dass der Sinn des Satzes verborgen ist. Die Schilderung des Johannes könnte man nun leicht in der folgenden Weise missverstehen: Christus habe angenommen, die Jünger kennen Weg und Ziel, das sei nun aber durch die Worte des Thomas nicht bestätigt worden, und deshalb habe Christus Weg und Ziel genannt. Es ist jedoch undenkbar, dass durch Thomas das vorhergehende Wort Christi ungültig gemacht werden sollte. Selbstverständlich kennen die Jünger Weg und Ziel, denn sie haben ja mit Christus zusammen gelebt. Thomas aber möchte in sein Bewusstsein heraufheben, was ihm aus dem Leben heraus vertraut ist. Das ist der ganz eigene Weg des Thomas: Christus nicht in der Erhabenheit der Verklärung zu schauen, sondern sich auf das Leben mit Christus einzulassen, verbindlich, mit der eigenen Existenz für die Wahrheit einzustehen und so durch Lebenserfahrung zur Erkenntnis zu kommen. Sein „Zweifel“ macht nicht blind, sondern hält das Reifen der Erkenntnis so lange auf, bis der Mensch sich ganz mit ihr verbinden kann. Und Christus weist die Haltung des Zweiflers nicht zurück, er antwortet auch nicht mit einem Gedanken, der überzeugen könnte, sondern er zeigt sich in der Tiefe seines eigenen Wesens. Er wird ganz unmittelbar zu Thomas.
Am Ostermorgen ist Maria Magdalena der erste Mensch, der den Auferstandenen schaut – mit der Kraft ihrer hingebungsvollen Andacht, die errungen wurde, indem Maria Magdalena die an die Welt verlorenen Gefühle wieder in die Menschlichkeit zurückholte. Engel verhüllen ihr zunächst das Erlebnis des Auferstandenen, dann schaut sie ihn in der paradiesischen Welt des Gartens, jedoch ohne ihn sogleich zu erkennen. Erst als er sie beim Namen nennt, als das Ich des Christus das Ich der Maria Magdalena aufruft, erkennt sie den, den sie schaut. Was geschieht in diesem Augenblick? Der Sinnesorganismus des Menschen, der seit dem Sündenfall nur noch die gegenständliche Welt wahrnehmen kann, wird von dem Wesen des Auferstandenen berührt, die übersinnliche Natur des physischen Leibes wird mit ihren Quellkräften wieder verbunden. Die Substanz des Neuen Jerusalem beginnt sich aus dieser Aktivität des Ich im physischen Leib zu bilden, – zwischen Christus und einem Menschen. Das setzt sich am Abend des Ostersonntags fort, als Christus den Jüngern erscheint. Während für Maria Magdalena die Tatsache der Auferstehung entscheidend war, wird nun für die Jünger die Gestalt des Auferstehungsleibes wesentlicher. Christus gibt sich sogleich zu erkennen, indem er den Friedensgruß entbietet und die Wundmale zeigt, die Punkte, von denen aus sich in dem Schmerz der Kreuzigung der Auferstehungsleib gebildet hat.

An diesem Abend war Thomas nicht anwesend. Und er will seinen Glauben nicht auf das Wort der anderen Jünger, sondern nur auf die eigene Erfahrung gründen. Der russische Philosoph Wladimir Solowjew hat diesen oft kritisch vermerkten Zweifel des Thomas als seinen „gewissenhaften Unglauben“ bezeichnet. In Fortführung des Thomas-Verständnisses bei Solowjew darf man vielleicht formulieren:
Der zweifelnde Jünger sucht nicht Beweise im üblichen Wortsinn als Voraussetzung seines Glaubens, sondern er sucht einen Stützpunkt in der eigenen Erfahrung, es geht ihm nicht um den Anlass, sondern um die Bestätigung seines Glaubens. Dieser soll „geerdet“ werden. Als eine Woche später Christus wieder den Jüngern erscheint, darf Thomas ihn nicht nur schauen, sondern mit seinen Fingern die Wundmale an den Händen berühren und seine Hand in die Seitenwunde Christi legen. Er allein. Das ist erstaunlich, denn Maria Magdalena war ja die Berührung des Auferstehungsleibes versagt worden, ausdrücklich bis zu dem Zeitpunkt, in dem Christus zum göttlichen Vater aufgestiegen ist, womit ja nur der Himmelfahrtstag gemeint sein kann. Und nun fordert Christus den Thomas sogar auf, ihn zu berühren, obwohl doch gar nicht zweifelhaft sein kann, dass Thomas wie die anderen Jünger den Auferstandenen an dem Friedensgruß erkannt hat, dass er also das Erlebnis der anderen Jünger vom Ostersonntag Abend „nachgeholt“ hat. Und es ist auch undenkbar, dass Christus mit seiner Aufforderung nur dem Eigensinn des Thomas entgegenkommen wollte, der die Berührung des Auferstehungsleibes als die Bestätigung seines Glaubens bezeichnet hatte. Es geht hier doch um Tieferes, um eine neuartige Erfahrung des Auferstehungsleibes über das Ostersonntagserlebnis hinaus. Die andächtige Maria Magdalena durfte die Gestalt des Auferstandenen in ihr Auge aufnehmen, der sorgfältig prüfende Thomas darf die Erfahrung des Auges mit der Erfahrung der Hand verbinden. Er darf das Sehen, das dem Menschen die klarsten Konturen der Welt gibt, mit dem Tasten, das dem Menschen die größte Gewissheit im Erdenleben gibt, zusammenschließen. Die Kraft des Auferstandenen beginnt, nicht nur in das einzelne Sinnesgebiet einzuströmen, sondern zwischen den Sinnesgebieten zu wirken. Die Verknüpfung von Eindrücken mehrerer Sinnesgebiete vollzieht sich im Menschen an jedem Morgen, durch sie erwacht er für die Welt. Indem Thomas die Wundmale, die er sieht, auch berührt, wird die Wahrnehmung des Auferstandenen erst in das volle Erdenbewusstsein aufgenommen. Thomas kommt durch den Tastsinn zur intimsten Erfahrung des Auferstehungsleibes. Es wird ein Denken vorbereitet, das ein Erfassen der Wirklichkeit mit den Händen ist. Dieses beginnt, wo das göttliche Wesen an der Erde gelitten hat, an den Wundmalen. Indem Thomas das Sehen mit dem Ertasten des Auferstehungsleibes verbindet, wird mit dem physischen Menschenleib allmählich auch die Erde in die Auferstehungs-Sphäre einbezogen. Findet dieses einzigartige Oster-Erlebnis des Jüngers seinen Niederschlag in dem (apokryphen) Thomas-Evangelium? Ja, vielleicht am deutlichsten in dem Satz: Jesus sagte: „Wenn das Fleisch wegen des Geistes entstanden ist, ist es ein Wunder“ (Log 29). Der erste Teil des Satzes korrespondiert offenkundig mit dem Prolog des Johannes-Evangeliums, in dem von der Mensch-Werdung des Logos gesprochen wird. Der Satz in seiner Gesamtheit klingt wieder auf am Schluss von Rudolf Steiners Vortrag vom 22. Nov. 1919 (in Die Sendung Michaels, GA 194): „Die Fleisch-Werdung des Wortes ist die erste Michael-Offenbarung, die Geist-Werdung des Fleisches muss die zweite Michael-Offenbarung sein“.

In ihr geht es nicht um denjenigen Geist, der unserer Erde Gestalt gegeben hat, sondern um denjenigen Geist, der in der selbstvergessenen Hingabe an die Erde eine neue Welt aufbaut. Eine Weisheit, die unter Menschen aus der Besinnung – auf das Wesen DES MENSCHEN – entsteht. Für den Quell dieser Weisheit, für die Geist-Werdung des Fleisches in Christi Auferstehung, ist Thomas besonders hellhörig.
„Selig sind, die meine Kraft im Herzen finden, auch wenn ihr Auge mich nicht sieht“ Joh. 20,29), sagt Christus zu Thomas, als er ihn berührt. Selig ist Thomas (noch) nicht, aber er nimmt auf seinem Weg zu Christus den gewissenhaft zweifelnden Menschen mit. Auch dieser will von Christus durchdrungen werden. Das Christus~Erlebnis des Thomas hat dem Menschen der Gegenwart wohl viel zu sagen. Und vielleicht liegt es uns im Ruhrgebiet besonders nahe, diesen Schritt der Menschheitsentwicklung durch die Namengebung des Dortmunder Hauses zu vergegenwärtigen.

Nun steht das „Thomas-Haus“

so beziehungsreich und eingebunden, wie sich das die Zweigmitglieder immer gewünscht hatten: Kein isolierter Bau, aber vorn an der Straße, sozusagen als Eingang zu dem Gebäudeensemble des Berufskollegs und des PSZD. Sichtbar das Eingebundensein und Zusammenwirken mit dem PSZD und dem Berufskolleg. Es zeigt, was die Anthroposophische Gesellschaft vor Ort geleistet hat. 
 
Durch diesen Hausbau hat das Zweigleben einen weiteren Aufschwung genommen. Das war nicht unbedingt zu erwarten, da Ende der 80er Jahre ein Generationskonflikt spürbar wurde, der sich durch den Zuzug auswärtiger älterer Mitglieder nach der Fertigstellung des Hermann-Keiner-Hauses verstärkte.
 
Die Vorstellungen, wie sich Zweigarbeit zu gestalten habe, differierten und der Wunsch nach Respektierung führte bei der Gruppe der damals 30jährigen zu einer verstärkten Gründungstätigkeit von Arbeitsgruppen. Andererseits sahen Bewohner und Bewohnerinnen des Hermann-Keiner-Hauses die Notwendigkeit 1987 den Seniorenzweig zu gründen.
 
Wir befinden uns jetzt im Jahr 2024. Im Jahr 2019 entwickelte Gerd Flint eine neue Organisationsform auf der Grundlage der Sozialen Dreigliederung. Es hatte sich gezeigt, dass eine neue Organisationsform für die Zweigarbeit nötig wurde. Er war lange Jahre für den Arbeitskreis Soziale Dreigliederung tätig, der sich später auf die Sozialkunst-Gestaltung von Rainer Schnurre (1945 – 2023) konzentrierte.
 
Eine Gruppe von Zweigmitgliedern fand sich zusammen mit Gerd Flint und in einer fast 2jährigen Arbeit wurde die neue Organisationsform am 29.03.2021 durch ein Mitgliedervotum bestätigt. Bedingt durch die Corona-Pandemie fand die Abstimmung schriftlich statt. 60 % der Mitglieder sprachen sich für das Organisationsstatut aus. Das Organisationsstatut finden Sie auch auf unserer website. Die Handlungsorgane des Thomas-Zweiges bestehen aus:
– der Mitgliederversammlung
– der Zweigleitung (Initiativkreis)
– Arbeitskreise
– Zweigkonferenz
Eine Initiative kann von jedem einzelnen Mitglied eingebracht werden und liegt somit nicht mehr nur als Aufgabe im Initiativkreis. Jedes Zweigmitglied kann initiativ werden.
 Es zeigte sich, dass eine sogenannte demokratische Wahl für eine geistgetragene Zusammenarbeit keine Garantie gibt. Vertrauen, Wertschätzung, Verstehen und Zuwendung sind die Pfeiler einer gedeihlichen Zusammenarbeit. Das Tolerierenlernen der aus unterschiedlichen Strömungen zusammen kommenden Persönlichkeiten im Zweig ist die karmische Aufgabe.
 
Die Zweigkonferenz gibt die Chance eines Austausches über die unter-schiedlichen Arbeitsthemen der Arbeitskreise.
 
Die Zweigleitung besteht zur Zeit aus Klaus-Peter Hunold, Erika Pietsch, Jutta Stockheim-Shah und Johannes Wolff. 
Die langen Jahre der anthroposophischen Arbeit des Thomas-Zweiges zeigt, dass die ehemals jungen Menschen sich nun in einem fortgeschrittenen Alter befinden. Der jüngere Nachwuchs hat sich bis jetzt nicht eingestellt. 
 
Wir leben in der Zeit der Vereinzelung. Das Gemeinsame muß neu gegründet werden auf der Grundlage der lebendigen Anthroposophie. Beharrlichkeit, Mut und Geistesgegenwart helfen uns die anthroposophische Arbeit weiterzutragen.
Der erste

Vorstand am Goetheanum

Diese Fotos zeigen den ersten Vorstand am Goetheanum, der bei der Weihnachtstagung 1923/24 von Rudolf Steiner bestimmt wurde.

Rudolf Steiner selbst übernahm den Vorsitz der Allgemeinen Anthroposophischen Gesellschaft.

wurde der zweite Vorsitzende und war bekannt als Dichter und Schriftsteller.

wurde Schriftführerin. Mit ihr verfasste Rudolf Steiner das Buch über die erweiterte Heilkunst.

wurde Beisitzer und entwickelte die Eurythmie und Sprechkunst.

wurde Beisitzer und führte die mathematisch-astronomische Sektion.

 wurde Sekretär und Schatzmeister und war auch als Buchautor tätig.

Dieser Vorstand sollte für die verschiedenen Verantwortungsbereiche erweitert werden:

  • im Hinblick auf die Leitung der Freien Hochschule für Geisteswissenschaft durch die Leiter der Sektionen, die nicht im Vorstand waren, die zusammen das Hochschulkollegium bilden, damals Edith Maryon für die bildenden Künste und etwas später Maria Röschl für die Jugendsektion;
  • im Hinblick auf die weltweit arbeitende Anthroposophische Gesellschaft durch die Generalsekretäre der Landesgesellschaften.

1925 zählt die Gesellschaft ca. 12.500 Mitglieder; Landesgesellschaften bestehen in 15 Ländern: USA, Australien, Belgien, Dänemark, Deutschland, England, Estland, Finnland, Frankreich, Holland, Norwegen, Österreich, Schweden, Schweiz, Tschechoslowakei; Einzelgruppen bestehen zu diesem Zeitpunkt in Argentinien, Brasilien, Danzig, Honolulu, Italien, Lettland, Neuseeland und Polen. Durch Rudolf Steiners frühen Tod, 15 Monate nach der Weihnachtstagung, kann der Entwurf einer einheitlich konstituierten Weltgesellschaft nicht bis in alle Einzelheiten durchgeführt werden. In dem vielschichtigen Prozess der Bildung dieser Gesellschaftsgestaltung, die spirituelle, organisatorische und juristische Dimensionen umfasst, bleiben Fragen offen, die bis in die Gegenwart Gegenstand von Auseinandersetzungen sind.

Die Entstehung des Seniorenzweiges

des Dortmunder Thomas-Zweiges – Eine Besonderheit in der Landschaft der Anthroposophischen Zweige

Ilse Goldmann-Hunold

Ende 1988 ergriffen 14 ältere Damen die Initiative zur Gründung eines Seniorenzweiges des Thomas-Zweiges im Hermann-Keiner-Haus.

Ein wunderbares Erfahrungsfeld, das ich seit dieser Zeit leite und dass mich immer wieder mit Freude erfüllt!

Der Alterungsprozess bringt so manche Beschränkungen im Laufe der Jahre mit sich und Fähigkeiten, die vorher selbstverständlich waren, werden mühsamer oder verändern sich ganz. Hinzu kam in den späten 80er Jahren, dass das Gelände um das Hermann-Keiner-Haus durch anhaltende Bauarbeiten nicht frei zugänglich war und die Damen, die z.B. mit einer Gehbehinderung sich zurecht finden mussten oder Rollatoren benutzen, sehbehindert und erblindet waren, nicht sicher zum Thomas-Haus gelangen konnten.

 

Aber auch Personen, die auf der Pflegestation leben, schlossen sich dieser gemein-schaftlichen Arbeit an. Sie werden im Rollstuhl mitsamt ihren Infusionflaschen gebracht und erfreuen sich an der gemeinschaftlichen Arbeit und dem anregenden Austausch, der auf 1 Stunde begrenzt ist. Die Teilnehmerinnen sind zwischen 70 Jahre und weit über 90 Jahre alt.

 

Wir freuen uns, dass das Wenigerwerden von körperlichen Fähigkeiten nicht zum Ausschluss der Personen führt, sondern zu einer gemeinsamen geistigen, sich gegenseitig anregenden Arbeit, die jedem hilft sich besser ins Leben zu stellen.